Durchbruch bei Umsatzsteuer-Betrugsfall mit rund 80 Millionen Euro Steuerschaden
Bei dem aktuellen Großverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung sprechen die Steuerfahnderinnen und -fahnder schon nicht mehr von einer Bande, es handelt sich ihren Ermittlungen zufolge vielmehr um ein Netzwerk aus diversen kriminellen Banden – ein Verbrecher-Cluster. Vor vier Jahren starteten die Vorermittlungen wegen Hinweisen auf großangelegte Steuerhinterziehung bei internationalen Geschäften mit Smartphones, ausgehend von einem verdächtigen Unternehmen in Nordrhein-Westfalen. Die Nachforschungen der Steuerfahndung im Auftrag der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) gipfelten im vergangenen Jahr schließlich in einer konzertierten europaweiten Razzia: 180 Ermittlungsmaßnahmen in 17 Staaten Europas wurden koordiniert, die Fahnderinnen und Fahnder aus Bielefeld deckten allein 79 Durchsuchungen in elf Staaten ab. Dabei stellten sie mehr als 41 Terrabyte Daten sicher – ein einziges Terrabyte umfasst bis zu 6,5 Millionen Dokumente. Eine Mammutauswertung begann für die heutige Regionalabteilung Ost-Westfalen des Landesamtes zur Bekämpfung der Finanzkriminalität (LBF NRW), doch sie hat sich gelohnt: Dem internationalen Cluster wird nach derzeitigem Kenntnisstand ein Umsatzsteuerbetrug in Höhe von rund 80 Millionen Euro vorgeworfen.
„Die Ermittlungen unserer Expertinnen und Experten in der Steuerfahndung zeigen, was es für den Warenverkehr und den Wettbewerb innerhalb Europas bedeutet, wenn kriminelle Strukturen das Ruder übernehmen“, erklärt Minister der Finanzen Dr. Marcus Optendrenk, der sich beim Vor-Ort-Termin in Bielefeld aus erster Hand über die Ermittlungen und deren Erfolg berichten ließ. „Hier muss der Rechtsstaat handeln und einen Riegel vorschieben – entschlossen und grenzüberschreitend.“ Denn die Ergebnisse der Ermittlungskommission zeigen, dass kriminelle Strukturen einen Teil des Elektronikmarktes übernommen haben und mit gefälschten Lieferketten nicht nur gezielt Steuererstattungen provozieren, obwohl nie Umsatzsteuer gezahlt wurde, sondern auch Warenwerte vermutlich in Milliardenhöhe verbilligen und dann wieder in den legalen Verkauf schleusen. „Die Drahtzieher sind extrem vernetzt und sehr gut ausgebildet“, verdeutlicht Jochen Parth, Leiter der LBF-Regionalabteilung Ost-Westfalen. „Sie sind digital bewandert und sehr mobil, ihre Struktur ist bewusst dezentral und über mehrere Staaten innerhalb und außerhalb der EU aufgebaut. Außerdem bedienen sie sich alternativer Zahlungsverkehre, um es uns zu erschweren, die Spur des Geldes von Grenze zu Grenze zu verfolgen.“ Im aktuellen Fall brachte der lange Atem der Ermittler in ganz Europa aber den Erfolg – es gab diverse Festnahmen im In- und Ausland sowie Vermögensarreste in Millionenhöhe. Die Ermittlungskommission des LBF NRW fertigt derzeit ihren Abschlussbericht an, um eine Anklageerhebung in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen.
„Der Fall zeigt beispielhaft die unbedingte Notwendigkeit für unsere Steuerfahndung, sich international zu vernetzen“, sagt Stephanie Thien, Leiterin des LBF NRW. „Die Gründung unseres Landesamtes war für Nordrhein-Westfalen insofern ein entscheidender Schritt, um als zentraler Ansprechpartner in solchen Umfangsverfahren zu agieren.“ Aber auch die Herausforderung von großen Mengen digitaler Asservate werden hier offenbar. Das Ministerium der Finanzen hat hier ein gemeinsames Forschungsprojekt des LBF NRW mit dem Fraunhofer IAIS auf den Weg gebracht, in dem aktuell der Einsatz eines eigenen KI-Tools zur Auswertung von Massendaten erprobt wird.
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