FINANZVERWALTUNG des Landes Nordrhein-Westfalen
Von links: Dr. Michael Meister, Margarida Marques, Dr. Johannes Hahn und Minister Lutz Lienenkämper.
03.03.2022

Flexibilisierung oder Rückkehr zu den bisherigen Fiskalregeln? Ministerium der Finanzen veranstaltet Expertenforum in Brüssel zur Zukunft des Stabilitäts- und Wachstumspakts

EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn als Hauptredner zu Gast in NRW-Landesvertretung / Minister Lienenkämper: „Wachstum und Stabilität sind Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft in Europa.“

Das Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen hat erneut zu einem Expertenforum in die Landesvertretung nach Brüssel geladen. Im Rahmen einer hybriden Veranstaltung begrüßte Minister der Finanzen Lutz Lienenkämper gestern Abend die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diesmal sowohl vor Ort als auch virtuell über einen Online-Livestream.
 
Thema des gestrigen Abends war die Zukunft des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Nachdem die Fiskalregeln angesichts der Corona-Pandemie vorübergehend ausgesetzt waren, sollen diese ab 2023 wieder greifen. Aufgrund der aktuellen Ereignisse scheint aber auch eine weitere Verschiebung denkbar. Die Phase bis dahin soll nun genutzt werden, um den Bedarf nach einer Reform der Regeln zu erörtern.
 
Angesichts der vielfältigen aktuellen Herausforderungen und unterschiedlichen Schwerpunkte stellt sich vor allem die Frage, ob und wie Forderungen nach einer Flexibilisierung der Regeln einerseits und Bekenntnisse zu den geltenden EU-Fiskalregeln sowie zu Schuldenabbau und nachhaltiger Haushaltsführung andererseits in Einklang zu bringen sind. Mit den erschreckenden Entwicklungen in der Ukraine erhält die Diskussion durch Forderungen nach einer effektiven Sicherheitspolitik und erhöhten Rüstungsausgaben zudem eine weitere Dimension.
 
Minister Lienenkämper begann sein Grußwort mit einem Rückblick auf den „Rheinischen Kapitalismus“ und betonte die Bedeutung der Sozialen Markwirtschaft und der Europäischen Union als Garant für Wohlstand und Wachstum, Stabilität und soziale Sicherheit sowie Frieden in Europa. „Hinter dem Wachstums- und Stabilitätspakt steht die im Grunde zeitlos gültige Erkenntnis, dass wir das freie, wirtschaftlich prosperierende und soziale Europa nur auf einem festen Grund aufbauen können. Wachstum und Stabilität sind Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft“, sagte Lienenkämper. Das gelte angesichts der Pandemiefolgen, der sicherheitspolitischen Herausforderungen und einer auf Dauer zu hohen Inflationsrate einmal mehr.
 
Die Diskussion eröffnete der österreichische EU-Haushaltskommissar Dr. Johannes Hahn. Er legte dar, wie die Europäische Kommission den Diskussionsprozess um den Reformbedarf gestalten möchte. Zudem gab er erste Einblicke, in welche Richtung die Kommission hierbei denkt: „Während der Covid-Krise haben wir gesehen, wie wichtig es ist, dass Mitgliedstaaten solidere Haushalte haben, weil das Handlungsspielraum schafft. Deshalb müssen wir Schulden tragfähiger gestalten und dafür brauchen wir Anpassungen, mit denen wir der Schuldendynamik Schritt für Schritt begegnen.“ Ob aufgrund der aktuellen Ereignisse ein Aussetzen der Fiskalregeln auch über 2022 hinaus denkbar sein könnte, ließ Kommissar Hahn offen und verwies auf die Frühjahrsprognose Mitte Mai 2022.
 
Auch für die sich anschließende Podiumsdiskussion konnten namhafte Vertreter aus Wissenschaft und Politik gewonnen werden: Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung und einer der führenden Akademiker auf dem Gebiet der ökonomischen Forschung debattierte gemeinsam mit dem erfahrenen Finanzpolitiker und langjährigen parlamentarischen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Dr. Michael Meister sowie der stellvertretenden Vorsitzenden des Haushaltsausschusses im Europäischen Parlament Margarida Marques aus unterschiedlichen Perspektiven über die aktuellen finanzpolitischen Herausforderungen. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob nach der Corona-Pandemie grundsätzlich eine Rückkehr zu den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts erfolgen sollte, oder ob und inwieweit eine Reform nötig und sinnvoll sein könnte. Während auf der einen Seite die Stabilitätsregeln als unbedingte Voraussetzung für Schuldentragfähigkeit und Reaktionsfähigkeit auf zukünftige Krisen betont wurden, wurde andererseits der Bedarf einer Flexibilisierung hervorgehoben, um nicht durch zu schnelle und umfassende Konsolidierung Wachstum abzuwürgen und im Sinne eines grünen Wandels Investitionen und Wachstum zu ermöglichen.

Das Video zur Veranstaltung finden Sie unter www.url.nrw/discussion.online.

Eindrücke der Veranstaltung